Horst Grethens Erinnerungen an Anna Eis Ich mache eine merkwürdige Erfahrung: Je älter ich werde und je mehr und je stärker ängstliche Fragen an die nächsten Jahre zunehmen, umso häufiger tauchen aus dem Dunkel der Erinnerung Menschen auf, die in meinem Leben einen bedeutenden Eindruck hinterlassen haben und manchmal sogar damit für mich ein Stück Wegweisung geworden sind. Ein solcher Mensch ist für mich Anna Eis. Als ich als Achtjähriger 1946 mit meinen Eltern nach Eisenschmitt kam, war sie Küsterin an der Kirche St. Servatius. Wir waren ziemlich überrascht, in diesem Dienst eine Frau zu erleben. Dergleichen war zu dieser Zeit wohl noch eine Besonderheit. Das Konzil lag noch in weiter Ferne, und die Älteren unter uns werden sich mit mir sehr deutlich an die strengen Gesetze der Kirche erinnern, die das Leben und den Glauben oft schwer gemacht haben. Im Mittelpunkt stand der Pastor, ganz der „Härr“, wie man zu sagen pflegte. Ihm ging man meist möglichst aus dem Weg, wenn man ihn im Dorf auf sich zukommen sah. Mit Kirche verband man in erster Linie Gebote und Verbote. Das allerdings war nur die eine Seite, wie wir Kirche erlebten. Es gab zum Glück auch noch die andere:
Hierbei und an sehr vielen anderen Festtagen, mit denen das Kirchenjahr reichlich ausgestattet war, spielte Anna Eis eine entscheidende Rolle. Sie und unser musikalisch hoch talentierter Organist und Chorleiter Jakob Pelzer waren die Stützen jeder liturgischen Feierlichkeit. Gerade auch um ihre musikalischen Möglichkeiten wurde die Pfarrei Eisenschmitt oft beneidet. Anna Eis war mehr als eine Küsterin. Ja, wir Messdiener! Wir waren die bevorzugte Truppe von Eis Anna. Messdienerinnen waren zu dieser Zeit noch undenkbar. Sie schulte uns in dem damals noch üblichen Latein. Und wer von uns damaligen Messbuben erinnerte sich nicht mehr an das besonders vertrackte „Suscipiat“! Anna brachte Ordnung in das ständige Hin- und Herlaufen am Altar während der Messe, das mehrfache Herumtragen des dickleibigen Messbuches- immer in Gefahr, damit auf dem zentimeterdicken Teppich zum Gespött der Leute auszurutschen – und dem häufigen Einsatz von Weihrauch und Weihwasser. Die glühende Kohle für das Weihrauchfass hielt Annas Schwester in ihrer gemeinsamen Wohnung in der Schloßstrasse für uns bereit. Zum Ausschmücken und der Reinigung der Kirche wurde Anna von Frauen aus der Gemeinde unterstützt, aber in der Sakristei hatte sie unangefochten das Sagen. Und es kam höchst selten vor, dass sie bei der Vorbereitung des Lektionars den falschen Tagesheiligen erwischte. Dann schämte sie sich ersichtlich, wenn der damalige Pastor Hermann sie amüsiert mit einem Ausdruck kritisierte, den er wohl aus seiner Heimat Spangdahlem mitgebracht hatte, und der so viel wie "Dummerchen" bedeutete. "Anna, du Topert", meinte er dann belustigt. Anna Eis versah Aufgaben einer Gemeindereferentin, bevor man diesen Dienst überhaupt kannte. Wie selbstverständlich erteile sie den Kindern Religionsunterricht, betete mit ihnen den Kreuzweg und versammelte sie in der Weihnachtszeit abends in der Kirche zum sogenannten "Krippchen". Sogar kriminalistisch war sie einmal im Kirchenschiff tätig. Es wurde festgestellt, dass der Opferstock mehrfach aufgebrochen worden war. Anna tat das praktisch Naheliegende und setzte sich in den daneben stehenden Beichtstuhl auf Lauer. Mit Erfolg. Das verdutzte Gesicht des Diebs kann man sich leicht vorstellen, als plötzlich in der stillen Kirche eine Frau den Vorhang des Beichtstuhls beiseite schob. Ihre fürsorglich mütterliche Seite konnte Anna Eis in den damals oft strengen Wintern zeigen. Eine Heizung in der Kirche gab es anfangs nicht, und so legte Anna einen angewärmten Ziegelstein unter das Altartuch, den der Priester dann während der Messe hin und her schob und auf diese Weise warme Hände behielt. Auch wenn es ans Sterben ging, war Anna Eis zur Stelle, bei Tag und in der Nacht. Mancher von uns Älteren wird sich noch daran erinnern, dass er sich am Straßenrand verneigte oder gar niederkniete, wenn der Priester mit den Sterbesakramenten, der "Letzten Ölung", auf den Weg zu einem Schwerkranken vorüberging. Daneben ging Anna Eis mit dem Glöckchen, das verkündete, dass da ein Mensch im Sterben lag. Das waren ein paar meiner Erinnerungen, die mir von einem beeindruckenden Menschen und Christen aus meiner Jugendzeit geblieben sind. Es sind Bilder, die mich ein Leben lang begleitet haben. Die Eisenschmitter haben damals gelegentlich gemeint: "Wenn die Anna Eis nicht mit Schuhen und Strümpfen in den Himmel kommt, dann kommt von uns keiner rein." Ich glaube nicht, dass der Wunsch, einmal in den Himmel zu kommen, ihren Dienst entscheidend bestimmt hat. Ich denke, dass es eher das Empfinden war, das den Beter von Psalm 69 sagen lässt: "Der Eifer für dein Haus, Herr, verzehrt mich." Die Zeiten und die Menschen haben sich verändert, die Kirche ist eine andere geworden. Aber immer noch braucht Gott unter uns Mitarbeiter, die sich von ihm berufen lassen und ihr Leben vorbehaltlos in seinen Dienst stellen. In diesem Sinne darf sich die Pfarrgemeinde Eisenschmitt dankbar an Anna Eis erinnern.
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